Glengoyne Teapot Dram, Batch #06, 59,3%

Der Blick auf den Kalender und das emsige Treiben der Tier- und Pflanzenwelt vor dem Balkon machen unmissverständlich klar: der Frühling naht. Alles scheint in Hektik versetzt, die Bäume scheinen es kaum erwarten zu können, mit ihrer Blütenpracht alles bunt zu färben und die Vögel sind voller Energie mit dem Nestbau beschäftigt und in den Kobeln werden Eichhörnchenbabys großgezogen. Genau der richtige Moment, sich mit Muße einen Pott Wasser aufzusetzen und mit einem Tee diesem alljährlichen Zyklus des Lebens begeistert zuzuschauen. Oder mit einem guten Dram. Oder mit beidem.

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Tea-Pot Dram. Was erst mal wie ein nettes Storytelling klingt, hat tatsächlich einen realen Hintergrund. Bis in die siebziger Jahre war es in vielen Destillerien üblich, den Angestellten täglich Drams auszuschenken, um sie bei Laune zu halten. In der Regel bekamen sie New Make, also frisch gebrannten Whisky. Bei Glengoyne ließ man sich nicht lumpen und füllte großzügig dreimal täglich drei Finger breit Whisky aus guten Sherryfässern in die Becher. Neben der Gewissheit, dadurch treue und motivierte Angestellte zu haben, vermied man auf diese Weise auch den ansonsten wohl üblichen Diebstahl des wertvollen Stoffes. Die jungen Angestellten, denen diese Drams dann doch zu viel waren, kippten sie in die überall herumstehenden Teekessel, aus denen sich dann die trinkfesteren Kollegen zusätzlich bedienten – die Teapot Drams. Zwei altgediente Mitarbeiter vor Ort können diese Praxis aus eigener Erfahrung noch bestätigen.

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Dieser Tradition folgend hat Glengoyne eine limitierte und nur in der Destillerie erhältliche Abfüllung herausgebracht, inzwischen bereits im sechsten Batch. Es steht zwar kein Alter auf den Flaschen, aber der Whisky für dieses Batch stammt aus insgesamt sechs First Fill Oloroso-Fässern – genauer vier Butts und zwei Hogsheads aus europäischer Eiche – deren Inhalt zwischen acht und elf Jahren reifen durfte. 2.772 Flaschen kamen dabei heraus, die einzeln nummeriert wurden. Mit voller Alkoholstärke und ohne Farbstoff und Kühlfiltration macht dieser junge Stoff farblich schon mal ziemlich was her.

Auge

Mit einem satten Mahagonibraun und einem schönen Rotton leuchtet dieser Glengoyne beeindruckend und klar im Glas und er reiht sich nach dem Schwenken wie eine feine Perlenschnur an der Glaswand auf, bevor er zäh in dünnen öligen Bahnen zurück läuft.

Nase

Süß, fett und fruchtig sind die ersten Eindrücke. Eingedickte Trauben und dunkler zäher Sirup aus Zuckerrüben duften mir aus dem Glas entgegen und sorgen für einen unwiderstehlich süßwürzigen Start. Eingelegte Datteln in Honig und mit Rohrzucker bestreute und flambierte Orangenscheiben lassen den Speichel fließen. Es wird immer dunkler und würziger, feuchte Tabakblätter und abgewetztes blankes Leder mit diesen harschen Noten, die man in die Nase bekommt, wenn man eine alte zerschlissene und durchgeschwitzte Lederjacke anzieht – superb. Dazu süße aromatische Rosinen und jede Menge Trockenobst. Auch altes leicht feuchtes Eichenholz ist da und bringt schöne kratzige herbe Röstaromen. Der Alkohol sticht nicht ein einziges Mal in der Nase.

Gaumen

Trotz der fast 60% kein Brennen oder übermäßige Schärfe, aber die Aromen werden von Beginn an mit einer sagenhaften Wucht vorangetrieben. Saftige Backpflaumen gespickt mit Zimt und Nelken, dazu wieder der würzige Zuckerrübensirup und dunkler Demerara-Zucker.  Und dann Eiche und noch mehr Eiche. Orangenschalen und Tannine prickeln auf der Zunge, in Verbindung mit dem dunklen karamellisierten Zucker einer Crème brûlée tun sich hier echte Abgründe an Aromenwahnsinn auf. Ich kann nur ungläubig den Kopf schütteln und mich fragen, wie man sowas mit derart jungen Whiskys hin bekommt. Glengoyne ist bekannt für die Sorgfalt bei der Auswahl der Fässer und die müssen da ein paar äußerst außergewöhnliche und lebendige Fässer in ihren Lagern haben. Und schön, dass sie sie derart sympathisch den Massen zugänglich machen, ganz ohne Hype-Mist oder bemühte Mystik.
Wow, ein Dram, der süchtig macht.

Abgang

Recht kurz bis mittellang, aber wieder mit voller Wucht würzig und süß, mit vielen dunklen typischen Sherryaromen und altem Eichenholz. Trockener werdend entschwindet die Süße und vor allem schöne herbe Gewürze wie Zimt und Gewürznelken und ein Hauch tiefschwarzer Lakritze klingen am längsten wärmend nach.

Kommentar

Ich muss gestehen, ich bin nicht ganz unvoreingenommen an diesen Whisky herangegangen. Das Internet ist voll des Lobes und so war meine Erwartungshaltung automatisch hoch – keine ideale Voraussetzung. Aber alle meine Erwartungen wurden nicht nur erfüllt, sondern in so ziemlich allen Belangen übertroffen. Vom Typ her geht er schon in die Richtung eines A’bunadh oder Glenfarclas 105, aber ich finde ihn im direkten Vergleich deutlich komplexer und vielschichtiger, alles ist wunderbar strukturiert. Immer wieder nach Schwachstellen suchend vermochte ich keine zu finden. Höchstens beim Preis bezogen auf das Alter der enthaltenen Whiskys – da scheinen gut 100 Euro übertrieben. Aber für das, was man hier geboten bekommt, ist kein Cent verschenkt. Denn Alter ist bei einem Whisky bei weitem nicht alles. Ich hatte schon genug 20+ Whiskys, die mich enttäuscht haben und die ein vielfaches kosteten. Hier bekommt man einen absoluten Ausnahmewhisky, vor allem, wenn man das Durchschnittsalter im Hinterkopf hat.
Da setze ich doch gleich noch mal Teewasser auf…

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