Mackinlay’s Shackleton Rare Old Whisky, 47,3%

Die Whisky-Industrie arbeitet sehr gern mit einem ausgefeilten Storytelling, um ihren Stoff unters Volk zu bringen. Da werden gern mal alte schottische Mythen bemüht, historische Figuren, Dichter, Fabelwesen oder gern auch romantisch verklärte Landschaften, die einen Whisky ganz besonders prägen sollen. Terroir matters.
Am beliebtesten sind aber wohl handwerkliche Traditionen, die dem Kunden vorgaukeln, der Whisky wird noch mit vorindustrieller Handwerkskunst in kleinen muffigen Destillerien hergestellt, in denen der Staub im spärlich scheinenden Licht tanzt, das durch die kleinen Fenster fällt. Die modernen blitzsauberen und zumeist riesigen industriell anmutenden und computergesteuerten Destillationsfabriken will dabei keiner im Kopf haben, wenn er entspannt an seinem Whisky nippt.

Und gutes Storytelling funktioniert. Bei mir jedenfalls. Ich bin bekennendes Marketingopfer. Zwar durchschaue ich das oft aufwendig inszenierte Trugbild, aber gerade bei so einem sehr traditionellen und vielschichtigen Getränk wie Whisky spielt sich beim Genuss auch viel im Kopf ab.

Bei diesem Whisky hier ist das alles allerdings völlig anders. Die geradezu unglaublich klingende Abenteuergeschichte rund um diese Flaschen und deren Wiederauferstehung ist von Anfang bis Ende absolut wahr und authentisch. Und ein wenig ausschweifender.

2010 entdeckte ein neuseeländisches Forscherteam des „Antarctic Heritage Trust“ bei Arbeiten an der Hütte des Polarforschers Ernest Shackleton vier Kisten mit Whisky, die versteckt unter der Hütte über hundert Jahre im ewigen Eis verborgen waren. Ein absoluter Sensationsfund!
Shackleton war bekannt dafür, ein progressiver und fürsorglicher Expeditionsleiter zu sein, der die Bedürfnisse von Menschen in Extremsituationen erkannte und Feierlichkeiten und Geselligkeit förderte, um Stress abzubauen und das Team bei Laune zu halten. Deshalb bestellte er für diese 1907 stattfindende Expedition, die der Eroberung des geografischen Südpols gewidmet war und als „Nimrod-Expedition“ in die Geschichte einging, 25 Kisten Whisky bei Mackinlay, einem namhaften Whiskyproduzenten und Händler, der auch das britische Königshaus belieferte. Dass sie ihm und seiner Mannschaft wenig Glück bescherten und letztlich 1911 der Norweger Amundsen das Rennen zum Südpol gewann, ist Geschichte.

Nach Bekanntwerden des Sensationsfundes witterte Vijay Mallya, der damalige CEO von „Whyte & Mackay“ und Rechtsnachfolger von Mackinlay, eine Chance zur eigenen Vermarktung der Story und erwarb sich für eine äußerst großzügige Spende an den „Antarctic Heritage Trust“ die Erlaubnis der neuseeländischen Regierung, drei der elf gefundenen Flaschen zur Analyse nutzen zu dürfen.

Eine riesige PR-Aktion wurde in Gang gesetzt, die drei Flaschen wurden unter ständiger wissenschaftlicher Aufsicht extrem langsam über mehrere Wochen aufgetaut und aus den Kisten und dem schützenden Strohmantel befreit – immer in Begleitung eines  Kamerateams von „National Geographic„, das jedes Detail festhielt.

Und dann kam Richard „The Nose“ Paterson ins Spiel, seines Zeichens Masterblender von Whyte & Mackay. Und dafür berüchtigt, jeden Teppich mit Whisky zu tränken. Er wurde beauftragt, den über hundert Jahre alten Whisky sensorisch zu analysieren und dann mit heute zur Verfügung stehenden Whiskys exakt zu kopieren.

Also flog Paterson nach Neuseeland, holte die überaus wertvolle Fracht in speziell hergestellten Schutzkontainern persönlich ab und brachte den Whisky im Privatjet nach über hundert Jahren zurück nach Schottland. Um weder den Korken noch die Kappe unnötig zu beschädigen, entnahm man mit einer speziellen Spritze und unter Schutzatmosphäre aus jeder Flasche 100ml des wertvollen Inhalts. Dann bekam Patterson eine kleine Menge zum Verriechen und Verkosten, aus dem Rest wurde in verschiedenen Laboren landesweit per Massenspektrometrie, Olfaktometrie und chemischen Analysen der einzigartige Fingerabdruck, quasi die DNA dieses Whiskys ermittelt. Dabei konnte man nicht nur einen Phenolgehalt von 3,47ppm ermitteln, sondern dank Vergleichsanalysen und bekannten Profilen auch, dass der Torf zum Darren der gekeimten Gerste von der Isle of Eday von den Orkney-Inseln stammt, der Whisky für ca. 10 Jahre in vornehmlich First-Fill-Sherryfässern aus amerikanischer Eiche reifte und das chemische Profil einem Glen Mhor enspricht, einer Destillerie in Inverness mit eigener Mälzerei, die damals im Besitz von Mackinlay war und 1983 stillgelegt und 1986 abgerissen wurde.

Laut gefundenen Aufzeichnungen in den Archiven von Mackinlay handelt es sich um einen Single Malt aus der Glen Mhor Destillerie, geblendet aus verschiedenen Jahrgängen.

Dann fing Patersons eigentliche Arbeit an. Ein reiner Single Malt von Glen Mhor kam wegen der kaum noch verfügbaren und auch immens teuren Fässer nicht in Frage. Also durchforstete er die Lagerhäuser ausgesuchter Highland- und Speyside-Destillerien, verkostete unzählige Fässer, um dann in seinem Labor in monatelanger Arbeit einen sensorisch identischen Whisky zu kreieren. Aber man verwendete zumindest ein 30 Jahre altes Fass von Glen Mhor mit der prophetischen Fass-Nummer #1907. Wegen der geografischen Nähe und des ähnlichen Geschmackprofils wurden in erster Linie Fässer von Dalmore ein Hauptbestandteil dieses Blends. Es kamen in geringeren Mengenanteilen außerdem noch Whiskies von Glenfarclas, Glenrothes, Old Pultney, Jura, Benriach und weiteren Destillerien aus den Highlands und der Speyside in diesen Blend, um ihn dem Original so weit wie möglich anzugleichen. Insgesamt wurden Fässer zwischen 8 und 30 Jahren verwendet. Abgefüllt wurde dieser Blend dann mit dem identischen Alkoholgehalt der Originalflaschen mit 47,3%.

In der Hütte selber fand man eine gut erhaltene geleerte Whiskyflasche, die als Kerzenhalter diente und die man nun als Vorlage für die Gestaltung der Flaschen verwenden konnte. Denn auch die sollten den Originalen exakt gleichen.
Man beschäftigte dafür Grafiker, die in aufwendiger und traditioneller Handarbeit die Etiketten rekonstruierten. Auch das Glas der Flaschen wurde extra mit Lufteinschlüssen, Verschmutzungen, Riefen und Unregelmäßigkeiten hergestellt, um den Originalen möglichst nahe zu kommen. Und schließlich ließ man noch Holzkisten fertigen, die künstlich gealtert und mit den Aufdrucken der Originalkisten versehen verkleinerte Kopien der Originalkisten darstellen.

Als einziger unabhängiger Tester durfte Dave Broom, Autor vieler Bücher über Whisky, beide Whiskies – Original und Neuschöpfung – parallel verkosten. Seiner Begeisterung sowohl für die hohe Qualität des Originals als auch der gelungenen Kopie verlieh er in diversen Publikationen und Interviews Ausdruck.

Inzwischen wurden die drei angebrochenen Original-Flaschen wieder zurück in die Antarktis verbracht und an der Fundstelle zu den anderen Kisten gelegt, weil die Hütte mit allen Bestandteilen als Teil des antarktischen UNESCO-Welterbes als besonders schützenswert gilt und die Flaschen nur als Leihgabe dienten. Die Hütte wurde über die Jahre aufwendig in Stand gesetzt und dient nun als Museum für gutsituierte Antarktis-Touristen.

So, und nun steht jene sagenumwobene Flasche da, bzw. ihre Kopie, hübsch drapiert mit Kiste in meiner Whisky-Vitrine.
Ursprünglich kostete die erste Auflage mit der Holzkiste stolze €160 und eine zweite, die ca. zwei Jahre später erschien, ca. €130. Diese kam dann zwar ohne die schöne Kiste, dafür aber mit einem Strohmantel und einem Umschlag mit Fotos, einem Filmstreifen, einem Lageplan der Hütte, einer Karte der Antarktis, einem Büchlein mit Fotos der Re-Kreation des Whiskys und Faksimiles von Briefen, die Shackleton in die Heimat schrieb.
Man kann sich natürlich fragen, ob ein Blend tatsächlich so viel wert ist. Und das ist er gemessen am reinen Flascheninhalt sicher nicht. Aber welcher Whisky ist das schon? Man darf auch den immensen Aufwand dahinter nicht vergessen, der betrieben wurde, um diese ganze faszinierende Geschichte greif- und vor allem trinkbar und damit erlebbar werden zu lassen. Das alles bezahlt man selbstredend mit.
Und zusätzlich das ganze Abenteuer dahinter, die Entbehrungen der Expeditionsteilnehmer und deren Würdigung und die historische Bedeutung natürlich auch.
Zudem hatten Paterson und Whyte & Mackay nicht die Ambition, einen besonders wohlschmeckenden Whisky zu kreieren, sondern eben eine möglichst exakte Kopie eines Whiskys, wie er Anfang des letzten Jahrhunderts geschmeckt hat. Und wie ihn Shackleton und seine Männer vor über hundert Jahren am anderen Ende der Welt unter unwirtlichen Bedingungen in der eingeschneiten Hütte im ewigen Eis genossen haben.

Eine geschmackliche Zeitreise also, verbunden mit einer großartigen Geschichte über eines der bedeutendsten historischen Entdecker-Abenteuer.

Dann kratze ich mal den Schnee von der Flasche und bin sehr gespannt. Statt eines Emaille-Bechers wähle ich dann aber doch ein Nosing-Glas zum Verkosten.

Auge
Strohgelb und klar hell leuchtend wie die Mitternachtssonne über der Antarktis liegt er im Glas, mit einer viskosen Öligkeit lässt er sich an der Glaswand schwenken und hinterlässt dünne träge Beinchen.

Nase
Schon beim Öffnen und Einschenken stömen süße Fruchtaromen Richtung Nase. Rasch gesellt sich aromatischer Rauch dazu, aber weit weg von irgendwelchen Süd-Islay-Phenolgranaten. Eher Richtung Highland Park, süßlich-würzig wie ein glimmender Buchenholzscheit in einem Lagerfeuer. Und je tiefer man hineinriecht, desto mehr kommen die honigsüßen Fruchtnoten mit frisch aufgebrochenen reifen Aprikosen, noch leicht unreifen Honigmelonen, zerdrückten und schon angebräunten Äpfeln und eingekochten Quitten nach oben. Dazu cremiges Buttertoffee, Salzkaramell und aromatische Vanille, fast wie ein typischer Post-1989-Glenrothes. Ein Hauch dezente saftig-wässernde Zitronen blitzt auch noch auf. Alles durchaus komplex und beeindruckend, erstaunlich fett und voluminös und kein seichtes Speyside-Geplätscher. Das alte Fass von Glen Mhor – wenngleich mengenmäßig bei der Flaschenanzahl wohl eher marginal beeinflussend – hinterlässt aber doch ganz eigene prägnante herbe Eichenfassaromen der alten Schule.

Gaumen
Der kräftige Alkohol treibt die Aromen mit viel Wärme und einer pfeffrigen Schärfe über die Zunge und geschmacklich ist das ein schönes Ebenbild der Nase. Auch hier viel Honigsüße, wieder schönes buttriges Salzkaramell und ein samtiger Fruchtcocktail aus hellen Trauben und den reifen Aprikosen. Unterlegt von einem sehr schönen sanften Rauchteppich, der zu keiner Zeit dominant wirkt, sondern sich als würziges Element perfekt einfügt. Die Eichennoten sind hier deutlich spürbarer als in der Nase. Herb und trocken runden sie das ansonsten von viel Süße geprägte Gesamtbild schön ab und sorgen für eine angenehme und nicht zu sperrige Kantigkeit. Insgesamt ein sehr stimmiges Aromen-Konglomerat.

Abgang
Erstaunlich lang verabschiedet er sich und ist im Abgang geprägt durch karamellisierte Fruchtsüße mit saftigsüßen Äpfeln, Honig und einer sehr lang abklingenden aromatischen Rauchfahne.

Kommentar
Früher war alles besser? Ganz sicher nicht. Aber auch nicht schlechter, wie dieser hervorragende Blend zeigt. Auch vor 120 Jahren schätzte und trank man schon richtig guten Whisky. Und viel. Von den gekauften 300 Flaschen (neben Brandy und Portwein) überlebten diese Expedition nur 11. Hier ist neben der gut aufbereiteten Präsentation auch ein hervorragend vielschichtiger Whisky gelungen, der auch losgelöst von der grandiosen Geschichte auf ganzer Linie überzeugen kann. Darauf einen Toast auf Ernest Schackleton, der selber gar keinen Whisky mochte und sich nur selten zu besonderen Anlässen mal einen leichten Likör gönnte.

* * *

Wer weiter in die Geschichte dieses außergewöhnlichen Whiskys eintauchen möchte, dem sei das englischsprachige Buch „Shackleton’s Whisky“ von Neville Peat empfohlen. Mit einer unglaublichen Akribie wird hier die ganze Geschichte dieser beinahe tragisch geendeten Expedition und den dabei mitgeführten Whisky aufgerollt. Angereichert mit vielen seltenen Fotos und Karten ist das eine vorzügliche Lektüre an kalten Winterabenden, am besten vor einem knisternden Kamin und mit einem Whisky im Glas.

Bei YouTube findet man auch einen 45minütigen Film von „National Geographic“ über die Entdeckung des Whiskys unter Shackleton’s Hütte und dessen aufwendiger Re-Kreation, bei dem man Richard Paterson quasi über die Schulter schauen kann. Parallel wird auch die entbehrungsreiche Expedition Shackletons nacherzählt. Kurzweilig und sehr interessant aufgearbeitet, auf gewohnt hohem National-Geographic-Niveau.
https://www.youtube.com/watch?v=CJi1cQeXVZ8

Beide Publikationen sind wirklich hochinteressant und extrem lesens-, bzw. sehenswert!


5 Gedanken zu “Mackinlay’s Shackleton Rare Old Whisky, 47,3%

  1. Ein großartiger Beitrag! Vielen Dank dafür. Die Abfüllung hatte ich lediglich im Dunstkreis wahrgenommen. Deine Aufbereitung lässt die ganze Geschichte vor meinem Auge lebendig werden. Wirklich toll gemacht! Danke.

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    1. Danke Dir, Olaf! ❤️
      Seit meiner Jugend wollte ich immer mal in die Antarktis, die ganzen Geschichten um Shackleton, Scott und Amundsen haben mich schon immer begeistert. Dieser Whisky mit seiner Geschichte hat zumindest ein kleines Stück Antarktis in mein Whiskyglas gebracht. 😊♥️

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      1. Mit dem Gehalt eines Krankenpflegers sicher nicht… 😉 Da muss der heimische – leider immer seltener werdende – Schnee genügen.

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